Samstag, 3. September 2016

Sally im Gespräch mit Matthew Flinders Schiffskater Trim

Als Reporterkatze ist unsere kleine Sally Sorglos in die Geschichte der Fellnasen eingegangen. Legendäre Interviews beispielsweise mit Egon dem Kater, Max Schneider oder Benno Schwarzbär hatte sie für Katzen-Kultur geführt. Obwohl unsere geliebte Fellnase am 7. Mai 2015 über die Regenbogenbrücke gegangen ist, kann Katzen-Kultur heute mit einem weiteren legendären Sally-Interview aufwarten. Denn Sally wäre nicht Sally, wenn sie im Regenbogenland ihre Leidenschaft für das investigative Katergespräch aufgegeben hätte. Und so ließ sie mir letztens im Traum eine spannende Botschaft zukommen: „Hallo Wolfgang, rate mal, wen ich hier getroffen habe. Trim! Ja, Trim, den Schiffskater über den Du in Deinem Buch Forscher, Katzen und Kanonen so viel geschrieben hast. Da dachte ich mir, den muss ich doch mal ausführlich intermaunzen. Da gab es ja auch noch einige offene Fragen, unter anderem hinsichtlich seines Ablebens.“

Und dann hat mir meine kleine Schwarzmaus ihr Gespräch mit dem berühmten historischen Schiffskater, der 1804 auf der Isle de France (Mauritius im Indischen Ozean) spurlos verschwunden war, gewissermaßen in die Träumtasten geschnurrt.

Sally: Trim, du warst wahrscheinlich der erste Schiffskater in der Geschichte, dessen Leben Eingang in die Literatur gefunden hat. Immerhin hat dich dein Mensch, der Forschungsreisende Matthew Flinders, im Dezember 1809 in seinen Notizen mit vielen Seiten bedacht und dir sogar einen Grabstein mit langer Inschrift spendiert. Das muss wohl ein ganz besonderer Mensch gewesen sein.

Trim: Nun ja, tatsächlich, die Zweibeiner pflegten zu jener Zeit nicht über ihre Gefühle in der Öffentlichkeit zu schwadronieren. Erst recht nicht über Schiffskatzen, deren Dasein und unermüdliches Arbeiten im Dienste des Wohlergehens und der Sicherheit der zweibeinigen Seeleute ja üblicherweise als selbstverständlich und in Reiseberichten und Logbüchern als nicht erwähnenswert erachtet wurde. Aber vielleicht ist die Aufmerksamkeit, die mir zuteilwurde ja auch meinen besonderen Fähigkeiten und Leistungen zu verdanken, die dir gegenüber zu erläutern ich mich in aller Bescheidenheit gern bereit erkläre, werte Sally.

Sally: Oh, danke Trim. Ich gehe mal davon aus, dass es nicht deine Mäuse- und Rattenjagdfähigkeiten waren, die zu den Zweibeinerberichten geführt hatten. Schließlich gehört das ja nun wirklich zu den Basisqualifikationen unsereins.

Trim: Bei allem Respekt und ohne das über Gebühr hervorheben zu wollen, aber ich gestatte mir anlässlich deiner Feststellung ganz ohne jeden Dünkel denn doch darauf hinzuweisen, dass ich mich unter den Schiffsfelinen als einer der besten, wenn nicht sogar der beste Nagerkontrolleur aller Zeiten wähnen durfte. Aber das war es wahrlich nicht, was zu meinem nicht unverdienten Ruhm auch unter den Zweibeinern führte. Im Gegenteil, mein selbstloser Jagdeifer wäre mir sogar beinahe zum Verhängnis geworden. Der Steward . . .

Sally: Das geht aber so aus den Aufzeichnungen deines Zweibeiners nicht hervor. Ich erinnere mich etwas von einem gemeinschaftlichen Raub eines Hammelbeines aus der Speisekammer des Kapitänsstewards gelesen zu haben. Dein Komplize konnte entkommen und du hast eine gehörige Tracht Prügel einstecken müssen.

Trim: Ein bedauerliches Missverständnis allemal, das ich mir erlaube im Rahmen unseres Gespräches für die Federn der gewogenen Historiker im Interesse der Geschichtswissenschaften zu korrigieren. Die Vorratskammern der Achterdecksgäste mit den erlesenen Speisen, die bei entsprechender Verunreinigung mit Nagerexkrementen schnell zu verderben und die Herrschaften in arge gesundheitliche Bedrängnis zu bringen drohten, waren mein besonderes Arbeitsgebiet. Hier konnte ich meine speziellen Fähigkeiten des Jagens auf engstem Raum voll zur Geltung bringen. Man stelle sich das elende Schicksal von Schiff und der Mannschaft vor, wäre sie ihrer Führungselite beraubt worden! Das besagte Hammelbein war so ein verunreinigtes Stück Frischfutter, das zu ihrem eigenen Schutze dem Zugriff der Zweibeiner dringend entzogen werden musste. Um dieser Pflicht schnellstens nachzukommen, erheischte ich die Hilfe unseres kräftigen holländischen Schiffsfelinen Van. Gemeinsam zogen wir das frische, leckere, saftige . . . äähh . . . schrecklich verunreinigte Hammelbein zur Entsorgung aus der Speisekammer. Ja, dass der Kapitänssteward, mit dem ich mich ansonsten sehr gut verstand, einen falschen Eindruck von unserer selbstlosen Aktion bekommen hatte, führte zu einer sehr harten Strafe. Aber so ist es nun mal an Bord Ein Steward muss tun, was ein Steward tun muss und ein Schiffskater eben auch!

Sally: Man sagt dir nach, du hättest auch ein besonderes Interesse für die Wissenschaft gehabt. Keine schlechte Voraussetzung für den Dienst auf einem Forschungsschiff aber für unsre Art ja schon ein wenig ungewöhnlich.

Trim: Ach ja, meinen wissenschaftlichen Ambitionen wurde durchaus ein wenig zu viel Wert beigemessen. Das zeigt allerdings, mit welch bescheidenen Geisteskräften vor allem die gewöhnlichen Zweibeiner ausgestattet sind. Es ist ja für Kater keine Kunst, den Weg einer Musketenkugel auf dem schwankenden Deck zu berechnen. Das ist ja eine Basisübung für jeden Mäusefänger. Oder das Sortieren feiner Leinen, die sich auf dem Deck schlängeln, wenn  der Matrose das Senkblei schleudert oder die Knoten durch die Hände rauschen lässt. Damit kann Kater die Männer vor dem Mast schon ausgiebig beeindrucken. Ansonsten pflegte ich vor allem bei den anspruchsvollen nautischen Beobachtungen der Achterdecksgäste zu assistieren, beispielsweise war meine ganze Aufmerksamkeit erforderlich, um den Chronometermann an seine Pflicht zu erinnern, wenn es darum ging, zwecks Positionsbestimmung die Beobachtung des Sonnenstandes mit der Zeitmessung in Übereinstimmung zu bringen.

Sally: Nun, das meiste, was du da beschreibst, nennt man in Katzenkreisen spielen. Aber schön, wenn es denn in den Augen der Zweibeiner der Wissenschaft gedient hat, wirst du dabei wohl besonders geschickt gewesen sein.

Trim: Moment, werte Lady Sally, mich deucht, du bist ein wenig voreingenommen oder nagt gar der Neid an dir? Das mit meiner wissenschaftlichen Bedeutung habe ich schließlich nicht selbst erdacht, das würde meiner angeborenen Bescheidenheit zuwider laufen. Aber immerhin wollte mein Zweibeiner Flinders sogar noch ein weiteres Buch über meine wissenschaftlichen Forschungen zur Naturgeschichte kleiner Vierbeiner, Vögel und fliegender Fische herausgeben, ein Fachgebiet, das ich ganz eigenständig zu bearbeiten pflegte. Leider hat es das Schicksal nicht zugelassen, dass ich Matthew meine Erkenntnisse für ein entsprechend epochales Standardwerk hätte vermitteln können.

Sally: Dieses Schicksal heben wir uns für den Schluss unseres Gespräches auf. Zuvor würde ich noch gerne etwas über deine Rolle als Ausbilder und Erzieher an Bord erfahren. Da kursieren ja die wildesten Geschichten.

Trim: Nun ja, ein gewisser Ruf ist durchaus von Nutzen, wenn sich Kater neben seinen vielfältigen anderen Pflichten der Erziehung der jungen Herren und dem Vermitteln von Tischmanieren widmet. Aber besondere Situationen erfordern eben besondere Maßnahmen. Und wenn es den Herrschaften nicht eingehen mochte, dass mir, als dem schönsten und wichtigsten Mitglied der Mannschaft von jedem Teller der Messe ein kleiner Bissen zustand, dann musste ich gelegentlich durchaus mal meine legendäre Ruhe und Geduld die ich zu Tisch an den Tag zu legen pflegte, beiseiteschieben und die Herren durch kurzfristigen Nahrungsentzug zur Raison bringen. Da gab es übrigens keinerlei Ausnahme, jeder der an Bord meines Schiffes zu Gast war, ob Admiral oder einfacher Seemann, hatte sich diesen Regeln zu unterwerfen. Das ist, da wirst du mir zustimmen, einfach eine Frage der Etikette, die auch weitab jeglicher Zivilisation nicht über Bord geworfen werden darf.

Sally: Apropos Zivilisation. 1803 gerieten dein Kapitän Flinders und du in französische Gefangenschaft auf Mauritius. Kurze Zeit später bist du verschwunden, selbst Zeitungsanzeigen und eine ausgesetzte Belohnung waren nutzlos, du bliebst verschwunden. In seinem Bericht schreibt dein Zweibeiner, dass du wahrscheinlich von „einem hungrigen schwarzen Sklaven gekocht und gegessen worden“ bist. Kannst du die Nachwelt vielleicht über dein tatsächliches Schicksal aufklären?

Trim: Hmmm, na gut, also wenn es denn der katzengeschichtlichen Wissenschaft dienen mag, soll es hier zur Sprache kommen. Ich möchte allerdings vorausschicken, dass ich das Leid, das ich meinem geliebten Zweibeiner durch mein Verschwinden zugefügt habe, zutiefst bedauere. Aber ich habe inzwischen längst mit ihm gesprochen und er hat meine Beweggründe verstanden. Ich bin nun einmal ein Schiffskater und brauche meine Freiheit. Das Gefängnis meines Kapitäns konnte ich nicht länger ertragen und auch die schrecklich aufdringliche Fürsorge des kleinen Mädchens, in dessen Obhut mich Flinders mit allerbesten Absichten gegeben hatte, bereitete mir doch arge Pein. Und dann waren da noch die attraktiven Katzendamen, deren Vorfahren sich von ihrem Dienst an Bord portugiesischer, holländischer und französischer Schiffe auf der Insel zur Ruhe gesetzt hatten und ein angenehm wildes Leben führten. Ich will hier nicht als eitel gelten, aber irgendwann kam ich nicht umhin, ihrem Drängen nachzugeben und ihr ungebundenes Leben zu teilen.

Sally: Vielen Dank, Trim, dass du so offen Auskunft gegeben hast.

Die ganze Geschichte von Trim findet sich erstmals in deutscher Übersetzung im Buch Forscher, Katzen und Kanonen. Ein paar Vorabinformationen zu Trim gibt es hier. Und mehr zum Thema Schiffskatzen liefert das Buch Die Schwarzbärflotte.

Sallys nächster Gesprächspartner wird übrigens der gestiefelte Kater sein

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