Freitag, 30. Dezember 2016

Die Katzen von Montmartre

ein Katzenkrimi von Tessa Korber

Ein junges Mädchens, dessen Leiche auf dem Friedhof von Montmartre gefunden wird und eine verschwundene Katze sind Auslöser für die Ermittlungsarbeit des undurchschaubaren Kommissar Bonenfant und der Katzen von Montmartre. Sowohl die Interessen der zwei- und vierbeinigen Protagonisten als auch ihre Fähigkeiten und Methoden unterscheiden sich dabei enorm. Dennoch ergeben sich im Laufe der Ereignisse, die oft kaum etwas mit dem Mord und dem Verschwinden zu tun haben, erstaunliche Mensch-Tier-Symbiosen, deren Ergebnisse die Ermittler der unterschiedlichen Arten auf getrennten Wegen zur Lösung der beiden Fälle führen.

An diesem Buch ist vieles anders, als man es erwartet. Es beginnt mit dem Friedhofskater Bonnard, der den Leser mit philosophierendem Katzengeplauder in die Welt seines Reviers, des Friedhofs des Montmartre, und seine Besucher einführt. Bonnard ist für die Menschen da, die Hinterbliebenen, Trauernden, Besucher. Und er hat für alle ein offenes Ohr, oder besser offene Sinne, die nicht nur die Worte der Menschen aufnehmen, die sich zu ihm auf seine Bank setzen und sich ihm unwillkürlich mitteilen. Es ist meisterhaft, wie es Tessa Korber gelingt, mit dieser Einführung die ursprünglichen Erwartungen im Kopf des Lesers an die Lektüre zunächst auszulöschen, um ihn gleichzeitig mit der Atmosphäre, den Gefühlen, dem Wesen und dem Charakter des Schauplatzes und seiner Protagonisten zu füllen. Der Mord an dem jungen Mädchen gerät schnell in den Hintergrund, ist auch für den Leser zunächst nicht von allzu großer Bedeutung. Dafür sorgt aber das Verschwinden der Katzendame Grisette für eine unterschwellige Spannung, die die Autorin trotz der verschiedenen, scheinbar unzusammenhängenden Handlungsstränge gekonnt aufrecht zu erhalten versteht.

Von Katzen, Menschen und ihren Geheimnissen

Dass Katzen geheimnisvoll sind, versteht sich von selbst. Aber Korbers Katzen von Montmartre sind es auf eine natürliche Art. Das Geheimnisvolle ergibt sich aus deren gelegentlich unbekannter Herkunft und vor allem ihren kognitiven Fähigkeiten, die sie problemlos verstehen, erspüren lassen, was Mensch gerade sagt. Und irgendwie fühlen sich die meisten der felinen Protagonisten trotz ihrer Selbständigkeit zu bestimmten Menschen hingezogen. Matisse beispielsweise zu Monsieur Martis, den Inhaber des Andenkenladens und den Gauklern und Bettlern um Sacré-Coer. Grisette zur ehemaligen Prostituierten und nun Inhaberin des Zeitungskiosks, Madame Chauchaut. Suzanne, Mutter unzähliger Würfe hat sich bei der Bäckerin Madame Valladon häuslich eingerichtet. Und dann sind da noch die beiden rüpelhaften Katerchen, der letzte Wurf Suzannes, die im Bistro des Monsieur Moulin zu Hause sind und es selbst dem ehrfurchteinflößenden rabenschwarzen Straßenkater mit unergründlicher Vergangenheit gegenüber am angemessenen Respekt mangeln lassen. Über die fein, humorvoll und einfühlsam entwickelten Katzencharaktere erschließen sich auch die Persönlichkeiten der menschlichen Protagonisten, allesamt ebenfalls mit Geheimnissen, Lasten und Schicksalsschlägen  behaftet.

Seelische Abgründe, schwere Schicksale und das ganz normale Leben

Der Leser kann sich in den Geschichten und Geschichtchen verlieren, bis das äußerlich beschaulich erscheinende Leben der Protagonisten Fahrt aufnimmt. Und auch bei den Ereignissen, die sich gegen Ende zu überschlagen scheinen, wird der Leser mitgerissen. Da tun sich menschliche Abgründe auf, Geheimnisse werden gelüftet, neue kommen hinzu. Und es ist sicher kein Spoiler, wenn ich verrate, dass beide Fälle, sowohl der Mord an dem Mädchen als auch das Verschwinden der unglücklichen Grisette am Ende gelöst werden. Happy end? Ja und nein, aber die Auflösung stellt den Leser durchaus zufrieden, auch wenn die Tatsache, dass er seinen Ausflug in die Welt der Katzen und Menschen von Montmartre nun beenden muss, eine gewisse Wehmut hinterlässt.
Die Katzen von Montmartre ist tatsächlich ein außergewöhnliches Buch, das ich guten Gewissens zum Geheimtipp erklären kann. Weitab von jeder Romantisierung des historischen Pariser Stadtteils und seiner Menschen und ohne, ja wirklich ohne die üblichen ausführlichen Beschreibungen blutrünstiger Gewaltorgien, oder von Krankheit und Psychosen gezeichneter Darsteller, die der Phantasie so enge Grenzen setzen, wirken die von Tessa Korber aufgegriffenen teils furchtbaren Schicksale noch lange nach dem Zuklappen des Buches nach. Mein Bedürfnis, die liebenswerten, weil authentisch dargestellten Katzentiere, aber auch die menschlichen Protagonisten in einem weiteren Buch wiederzutreffen, ist groß. Es muss nicht einmal ein Krimi sein.

Tessa Korber: Die Katzen von Montmartre. btb-verlag 2016. Taschenbuch, 253 Seiten.

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