Montag, 2. Oktober 2017

Der Tiger in der guten Stube

Wie die Katzen erst uns, und dann die Welt eroberten

Bei genauerer Betrachtung scheint es kaum etwas zu geben, das für unsere Liebe zu den schmusigen Fellträgern spricht. Aber obwohl die Autorin Abigail Tucker in ihrem Buch mit kritischen, ja problematischen, oft genug erschreckenden Tatsachen über unsere Stubentiger nicht spart, führt die Lektüre am Ende wohl kaum zu einer Änderung der Einstellung von Katzenliebhabern. Und das hat, wie die Autorin mit einer ausgeprägten Schwäche für Katzen ebenfalls vermittelt, seine guten Gründe.

Vor Millionen von Jahren, als der Mensch noch in den Weiten Afrikas um sein Überleben kämpfte, wäre ihn die Vorstellung eines Schoßkätzchens wohl kaum in den Sinn gekommen. Und noch vor rund 11000 Jahren gehörten die Mitglieder unserer Spezies zur Beute der gewaltigen Säbelzahnkatzen und ihrer modernen Artgenossen.  Mit der Sesshaftigkeit und Entwicklung der menschlichen Zivilisationen wurde es jedoch für die mächtigen Raubtiere eng auf diesem Planeten. Nicht erst seit dem 19. Jahrhundert, sondern bereits in ägyptischer Zeit, gerieten die Großkatzenpopulationen unter Druck. Ägypten verlor nach und nach den größten Teil seines Löwenbestandes, die Römer jammerten schon 325 vor Christus, dass die für die Schlachtfeste in den Arenen benötigten Großkatzen rar wurden und bereits vor Ankunft der Europäer hatten die Herrscher Indiens den Tigern durch Abholzen der Wälder den Lebensraum streitig gemacht.

Katzen als Anpassungskünstler

Während, wie Tucker anschaulich beschreibt, vor allem die großen ausschließlich Fleisch fressenden wilden Spitzenprädatoren den Überlebenskampf gegen den Menschen weitgehend verloren haben und nach und nach aussterben werden, hat Katzenfamilienmitglied Felis silvestris catus, also die Hauskatze, längst die Welt und die Herzen der Menschen erobert. Dem Abkömmling der Lybischen Falbkatze ist dabei eine gewaltige Anpassungsleistung gelungen. Innerhalb von nur gut 10.000 Jahren hat die Wildkatze – ohne dass der Mensch hier züchterisch nahegolfen hätte - ihre Verhaltensweisen nicht nur auf die neuen Bedingungen der Kulturlandschaften, sondern auch der Menschen selbst abgestimmt. Als Nutztier völlig ungeeignet, so die Autorin, hat es die Katze geschafft, sich dem Menschen zumindest emotional unentbehrlich zu machen. Tatsächlich ist wohl neben der besonderen körperlichen Grundausstattung, die Anpassungsfähigkeit eine besondere Stärke der Familie der Felidae. Allerdings ist dies in der Regel mit der Spezialisierung auf bestimmte und eben schwindende Lebensräume verbunden, wie Tiger, Schneeleopard oder Pallaskatze belegen.

Wegen ihrer angeborenen Kühnheit zur Hauskatze geworden

Auch die Hauskatze hat sich auf einen Lebensraum spezialisiert, den des Menschen. Ohne dabei die Gene und Fähigkeiten ihrer wilden Vorfahren verloren zu haben, ist sie damit für die Weltherrschaft prädestiniert. Nachdem die Autorin den Leser über die Faszinierende Katzenfamilie im Allgemeinen und die Selbstdomestizierungsleistung der Hauskatze im Besonderen informiert hat, geht sie den Fragen nach, wie dies eigentlich gelingen konnte und welche Folgen der Siegeszug der Stubentiger hat. Voraussetzung für die Selbstdomestizierung der Lybischen Falbkatze ist wohl die „angeborene Kühnheit“, die besonders draufgängerische Exemplare dazu brachte, direkt in unseren Lebensraum einzudringen und ihn unter anderem zwecks bequemer Nahrungsbeschaffung in Besitz zu nehmen. Es ist hochinteressant, den Reisen der Autorin in die Welt der Wissenschaft zu folgen und zu erfahren, was für erstaunliche Entwicklungen die Selbstdomestikation der Katze bei den Samtpfoten zur Folge hatte. So zum Beispiel die für uns heute selbstverständliche und gleichermaßen problematische Reproduktionsrate. Hauskatzen sind ganzjährig fruchtbar und vermehren sich wie Karnickel, ein Umstand, der nicht nur das Katzenelend in unseren Städten und Dörfern  verursacht.

Spitzenprädator und ökologischer Schädling

Geradezu erbittert stehen sich Katzenfreunde und –feinde gegenüber, wenn es um die Frage der Biodiversität geht. Katzen rotten aufgrund ihres unbändigen Jagdtriebes die heimischen Singvogelpopulationen aus, heißt es und insbesondere Studien aus Amerika scheinen dies zu belegen. Unglaubliche Zahlen kursieren da, viele davon sind eher spekulative Hochrechnungen als reale Erhebungen. Trotzdem hat die Verbreitung der Hauskatze über die ganze Welt für die Faunen einiger Lebensräume verheerende Folgen. Tatsächlich sind insbesondere dort, wo Spitzenprädatoren eigentlich unbekannt sind den vom Menschen eingeschleppten Hauskatzen zahlreiche einheimische Spezies zum Opfer gefallen. In Australien beispielsweise gelten die Katzen als größere Bedrohung für die heimische Tierwelt, als der Klimawandel. Vor allem die Ökosysteme von Inseln können durch Hauskatzen erheblich bedroht sein. Dabei geht es nicht nur um Inseln im Meer, sondern auch um durch Kulturlandschaften, Städte und Verkehrswege zergliederte natürliche Lebensräume.

Von Katzenliebe zur Katzenhysterie

Abigail Tucker lässt kaum ein Thema aus, das Katzenfreunde zum Nachdenken bewegen könnte. So widmet sie eines ihrer immer auch unterhaltsam geschriebenen Kapitel der Katzenmafia, jenem Konglomerat aus Tierschutzorganisationen und privaten Initiativen, das einen erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung auszuüben in der Lage ist. Dabei diskutiert sie auch die Problematik von Kastrationsprogrammen oder Futterstellen, die bei uns inzwischen zum Credo des Katzenschutzes gehören. In diesen Zusammenhang sei auch erwähnt, dass die Autorin vor allem die Situation in den USA zur Grundlage ihrer Ausführungen macht. Dabei wird auch deutlich, dass sich in Übersee vieles hinsichtlich Mentalität und Organisationsstrukturen von unserer Gesellschaft unterscheidet. Das gilt sicherlich auch für die Katzenhysterie, die in vielerlei Hinsicht in den USA ausgeprägter und bunter ist als hierzulande. Da geht es natürlich um Katzenfutter, Katzenmöbel und Zubehör, Katzenzucht und Rasseausstellungen. Auch hier belässt es die Autorin nicht bei der oberflächlichen Beschreibung, sondern vermittelt ebenfalls hochinteressante Hintergründe.

Toxoplasmose: Eine biologische Waffe der Katze?

Toxoplasmose ist ein weiteres Stichwort, das durchaus im negativen Sinne mit unseren geliebten Samtpfoten verbunden ist und zu mach Verunsicherung führt. Bei diesem Thema geht es der Autorin jedoch nicht nur um die möglichen Gefahren für den Menschen, sondern auch um die Ursprungsfrage: Warum funktioniert das Katzen-Mensch-Verhältnis bei aller Gegensätzlichkeit so gut? Eigentlich hält die Autorin die These, dass das Toxoplasmosevirus dafür sorgt, dass sich der infizierte Mensch zum ja recht unnütze Katzentier hingezogen fühlt, für recht weit hergeholt. Und dann erfuhr sie bei ihren Recherchen zum Thema, dass sich auch in den alten ägyptischen Mumien das Toxoplasmosevirus fand . . . ..
Tucker handelt ein breites hauskatzenrelevantes Spektrum ab und unterscheidet sich dabei nicht nur durch den humoristischen Stil von anderen Werken, die die Kulturgeschichte der Hauskatze zum Thema haben. Am Ende jedenfalls folgt sie den geliebten Samtpfoten auch noch ins Internet und spekuliert über die Zukunft der entwicklungsgeschichtlich ja noch recht jungen Hauskatze. An ihrer Zuneigung zu den häuslichen Spitzenprädatoren hat sich trotz teilweise erschütternder Erkenntnisse nichts geändert. Bei mir übrigens auch nicht. Ein tolles Buch.

Abigail Tucker: Der Tiger in der guten Stube. Wie die Katzen erst uns und dann die Welt eroberten. Theiss 2017. Gebunden mit Schutzumschlag 304 Seiten.

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